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Antifaschismus Antimilitarismus & Krieg Mittenwald

Pfingsten 2009: Auf nach Mittenwald!

Die militaristische Traditionspflege der Gebirgsjäger angreifen!
Entschädigung aller NS-Opfer! Keine Straffreiheit für Kriegsverbrecher!
Seit Anfang der 1950er Jahre versammeln sich alljährlich junge Soldaten aus aktiven Gebirgsjäger-Einheiten und alte Kameraden aus Wehrmachtsverbänden im bayerischen Mittenwald. Gemeinsam ehren sie ihre Toten aus zwei Weltkriegen und den Kriegen der Gegenwart. Traditionspflege bedeutet für sie: Die Massaker und andere Kriegsverbrechen, die die Gebirgstruppe während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland, Italien, Frankreich und anderen von Deutschland besetzten Ländern Europas begingen, ungebrochen als heldenhaftes soldatisches Handeln zu glorifizieren und in dieser Linie ihre aktuellen Kriegseinsätze abzufeiern.
Gegen diesen militaristischen Kult protestieren wir seit sieben Jahren.
So auch in diesem Jahr.
Mittenwald steht exemplarisch für die Verquickung von deutschem Militär, Kirche und Gesellschaft. Wie einst die Wehrmacht, ist heute die Bundeswehr der größte Arbeitgeber im Ort. Die gesamte Stadt ist mit ihrer politischen, ökonomischen und sozialen Struktur auf das Engste mit dem Militär verbunden. Das schafft Loyalitäten mit Mördern und Kriegsverbrechern, die schwerer wiegen als die offenkundig zu abstrakt gebliebene politisch-moralische Verpflichtung, sich mit deren Opfern auseinander zu setzen und dieser zu gedenken. Bis heute weigert sich die Gemeinde beispielsweise, für die Opfer von Massakern der Gebirgstruppe der Wehrmacht auf Kephallonia und in Falzano ein Denkmal zu errichten. Gemeinsam mit Überlebenden der nationalsozialistischen Besatzungs- und Vernichtungspolitik werden wir der Stadt deshalb in diesem Jahr ein bleibendes Denkmal übergeben, einen „Stein des Anstoßes“, der die Auseinandersetzung mit den Kriegsverbrechen am Standort der 1. Gebirgsjägerdivision in den Ort tragen und befördern soll.
Unsere Kampagne „Angreifbare Traditionspflege“ hat die Gebirgstruppe in die Defensive gezwungen. Seit unserer ersten Intervention in Mittenwald 2002 nahm eine stetig wachsende Öffentlichkeit zur Kenntnis, welche Kriegsverbrechen Gebirgsjäger zu verantworten haben. Der dadurch gewachsene politische Druck führte unter anderem zu dem Verfahren gegen das Mitglied des Kameradenkreises Josef Scheungraber, der seit September 2008 in München vor Gericht steht. Seine Einheit hatte im August 1944 als „Vergeltung“ gegen Partisanenangriffe 15 ZivilistInnen in Falzano di Cortona in ein Bauerhaus gesperrt und es dann gesprengt. Bis auf einen 15-jährigen Jungen kamen alle Personen ums Leben. Das italienische Militärgericht in La Spezia verurteilte Scheungraber wegen dieses Verbrechens 2006 zu lebenslanger Haft. Es ist zwar ein Erfolg, dass der Prozess gegen Scheungraber nun überhaupt auch in Deutschland stattfindet und dass das Verbrechen auch hier nicht länger unter den Teppich gekehrt werden kann. Dennoch wird das Verfahren wohl leider auf einen Freispruch hinauslaufen. Damit wäre ein zentrales Ziel nicht erreicht: Ein insbesondere für die Angehörigen der Ermordeten offizielles Anerkennen, dass es sich um ein Kriegsverbrechen gehandelt hat.
Auch in Mittenwald selbst hat sich seit Beginn unserer Proteste einiges geändert:
Im Jahr 2001 konnte das Traditionstreffen noch als größtes deutsches Soldatentreffen mit bis zu 5000 TeilnehmerInnen rechnen. In den letzten Jahren kamen allerdings (nur) noch 500 bis 1000 Kameraden, KumpanInnen und Kriegsverbrecher auf den Hohen Brendten. Dies ist zum einen sicher der Tatsache geschuldet, dass viele unterdessen verstorben sind. Zum anderen ist aber sicher vielen der Spaß an ihrem geselligen Zusammensein mit den Kameraden gründlich verdorben, da sie jedes Jahr aufs neue mit dem Vorwurf konfrontiert werden, keine Kriegshelden, sondern Mörder zu sein.
Der wiederkehrende Protest hat zudem dafür gesorgt, dass immer weniger TouristInnen in Mittenwald einen Ort für ruhiges Entspannen sehen. Seit zwei Jahren muss die Traditionsfeier daher auf Drängen der Gemeinde Mittenwald auf andere Termine verlegt werden. Auch in diesem Jahr haben die Kameraden angekündigt, ihr Treffen zwei Wochen vor dem Pfingsttermin abzuhalten. Stattdessen werden wir zu Pfingsten vor Ort sein und den traditionellen Termin ihrer Heldenfeier inhaltlich neu besetzen:
Im Mittelpunkt werden gemeinsam mit Überlebenden die Erinnerung an die NS-Opfer und die Verbrechen der Täter stehen. Wir wollen damit den Teil der Kampagne abschließen, der sich gegen die Brendtenfeier und die Vertuschung der Verbrechen richtet. Mit dem Denkmal für die Bevölkerung Mittenwalds werden wir einen „Stein des Anstoßes“ im Ort der Täter schaffen, in dem sich die das Gedenken an die Opfer deutscher Kriegsverbrechen und deren Forderung nach Entschädigung manifestiert. Bildlich gesprochen: In Mittenwald ist jeden Tag Pfingsten. Die Leugnung der Kriegsverbrechen und die Verhöhnung der Opfer findet in der alljährlichen Brendtenfeier ihre Zuspitzung, doch sie ist Teil des Alltags im Divisionsstandort Mittenwald. Unsere Intervention zielt darauf, in diesem deutschen Alltag einen Ort des Erinnerns und der alltäglichen Auseinandersetzung zu schaffen.
Die Verdrängung der Verbrechen, die Auslöschung der Erinnerung an die Opfer und die Straflosigkeit der Täter ist die Voraussetzung für den Militarismus von heute. Die deutsche Justiz hat zum einen praktisch niemanden für die Massaker der Gebirgsjäger verurteilt. Deutsche Täter hatten im Nachkriegsdeutschland nichts zu befürchten. Zum anderen weigert sich die Bundesregierung bis heute, die Opfer oder deren Angehörige von SS-und Wehrmachtsmassakern in Italien und Griechenland zu entschädigen. Nun reichte die Bunderegierung sogar gegen rechtskräftige Urteile italienischer und griechischer Gerichte, die Deutschland zu Entschädigungszahlungen verpflichten, Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein. Dabei beruft sie sich auf die Staatenimmunität. In einer Zeit, in der die Bundeswehr, darunter zahlreiche Einheiten der Gebirgsjäger, weltweit Krieg führt, ist es offenbar notwendig, den Militärs juristisch den Rücken frei zu halten. Denn seit Mitte der 1990er Jahre kämpfen Gebirgsjäger in der Bundeswehr als Bestandteil der Krisenreaktionskräfte und des Kommandos „Spezialkräfte“ an zahlreichen Kriegsschauplätzen. Auch die Kriege der Gegenwart sind ohne Mord, Vergewaltigung und Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung nicht denkbar.
Diesem Zusammenhang zwischen der Entsorgung der Geschichte und dem aktuellen aktuellen Militarismus werden wir uns in Zukunft verstärkt widmen. Neben der historisch ausgerichteten Thematisierung des Militarismus werden die Unterstützung der Entschädigungsforderungen der NS-Opfer sowie die Forderung und kritische Begleitung von Gerichtsverfahren gegen deutsche Kriegsverbrecher ein wichtiger Bestandteil unserer antifaschistischen Initiativen sein. Diese historisch eingebettete Auseinandersetzung kann nicht umhin, auch den aktuellen Militarismus in die Fokus zu nehmen. Das Militär hat keine Zukunft. Es ist Garant einer Gegenwart, die jeder emanzipatorischen Entwicklung der Menschheit entgegensteht, in Mittenwald und überall.
Ein Denkmal für die Opfer der Gebirgsjäger!
* Im Rahmen der Proteste gegen die Traditionsfeier der Gebirgsjäger, wurden bereits drei Mal Installationen errichtet, die am Standort der Gebirgsjägerdivision der Opfer Ihrer Kriegsverbrechen gedenken sollten. Alle Installationen wurden nach kurzer Zeit wieder entfernt bzw. zerstört: 2003 | Im Vorfeld des Traditionstreffens wurden die Stein-Stelen auf dem Hohen Brendten mit einer neuen Beschriftung versehen: Der Schriftzug: „Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger – Entschädigung aller NS-Opfer“ wurde rasch wieder entfernt.
* 2004 | Während der Demonstration gegen die Brendtenfeier wurde eine 1 mal 1,5 Meter große Gedenktafel an der Fassade der katholischen Kirche angebracht. Mit dem Text: „Im 2. Weltkrieg haben in Mittenwald ausgebildete Gebirgsjäger überall in Europa Kriegsverbrechen begangen. Wir gedenken der bei diesen Massakern ermordeten Menschen und verurteilen die Zerstörung der Orte. Bis jetzt sind Dorf-/Ortszerstörungen und Massaker bekannt in: [Aufzählung von 50 Orten]“ Die Tafel wurde unmittelbar nach der Demonstration zerstört.
* 2007 | Eine Installation bestehend aus 100 Kisten, von denen jede den Namen eines Ortes trug, in dem Gebirgsjäger an Massakern beteiligt waren, wurde im Zentrum von Mittenwald von Demonstranten aufgestellt. Sie wurde am gleichen Abend von der Müllabfuhr abgeräumt.
Ehrenmäler der Gebirgsjäger in Mittenwald
* Seit 1957 besteht das Soldaten-Ehrenmal der Gebirgsjäger auf dem Hohen Brendten. Eingeweiht wurde es am 10. Juni 1957 – dem Jahrestag der Massaker in Lidice und Distomo. Es besteht aus zwei gemauerten Stelen die in der Mitte von einem Holzkreuz überragt werden. Die Stelen tragen die Aufschrift „1914-1918“, „1939 – 1945“ sowie „Errichtet von den heimgekehrten Kameraden der Gebirgstruppe 1957“.
* Neben diesem Ehrenmal existiert in der kleinen Kapelle im Zentrum Mittenwalds eine Art Altar mit Fotos einiger gefallener Gebirgsjäger. Darunter auch das Bild des Gebirgsjägeroffiziers Josef Salminger. Der Vater des bis 2008 in Mittenwald amtierenden Bürgermeisters, Hermann Salminger, war ein fanatischer Anhänger des Nationalsozialismus und für das Massaker in Kommeno verantwortlich, bei dem 317 ZivilistInnen ermordet wurden. „Wir (haben) einen Gegner zu zerschlagen (…), den man nur als Tier und Bestie bezeichnen kann. Diese kommunistische Verbrecherbande (…) muß völlig aufgerieben und vernichtet werden“, schrieb er am 1. Juli 1941 kurz nach dem Beginn des Überfalles auf die Sowjetunion in einem Tagesbefehl an seine Truppe. (Zitiert nach H.F. Meyer, Blutiges Edelweiß, S. 62)
* Das jüngste Denkmal der Gebirgstruppe zeigt einen bepackten Maulesel. „Dem Tragetier, dem unentbehrlichen Helfer des Menschen in den Bergen errichtet in Erinnerung an die Tragetierführer“, steht auf einer Bronzeplatte. Der bayrische Ministerpräsident verdinglichte das unschuldige Tier in seinem Grußwort zur Einweihung 1978 als „unersetzliches Transportmittel“
Infos: http://www.keine-ruhe.org/